Kooperationstagung zu Femiziden:Jede getötete Frau ein Opfer zu viel

1.666 versuchte und vollendete Tötungsdelikte an Frauen gab es in Nordrhein-Westfalen zwischen 2014 bis 2023. 522 Taten, ein Drittel dieser Fälle, wurden als Femizid eingeordnet, also als Tötung einer Frau aus dem Grund, dass sie eine Frau ist. 235 Frauen kamen in dieser Definition bei Femiziden ums Leben.
Wie lassen sich diese Taten verhindern? Was muss in der Prävention geschehen, was in der Nachsorge? Diesen Fragen widmete sich die Tagung. Die Zahlen zeigen, dass hier eine Bearbeitung bitter nötig ist. Denn:
"Es fehlt an allem: an Bewusstsein, an Finanzmitteln, an Definitionen, an unabhängiger Forschung, an qualifiziertem Personal, an Schutzräumen, an effizienten Verfahren, an Trainings und lebensbegleitenden Schulungen in den betroffenen Bereichen Legislative, Judikative, Exekutive, Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen sowie an belastbaren Daten", schreibt Kristina Felicitas Wolff, Herausgeberin des 2025 erschienenen Buchs "Wie viele noch? Deutschlands gebilligte Femizide" (Kohlhammer, Stuttgart 2025).
Diese Tagung wollte ein Baustein dazu sein, diesem Mangel zu begegnen.
Ausstellung "Sicherheitslücke"
Die Tagung eröffnete die Ausstellung "Sicherheitslücke" von Alexandra Mattern: "Es geht um Angsträume, also dunkle Ecken, unklare Situationen, unüberschaubare Wege im öffentlichen urbanen Raum. Sie bat Menschen um Bildmaterial zu Orten, die bei ihnen Unsicherheit und Unwohlsein erzeugen. Dieses Material ergänzte sie um eigene Fotografien und Situationen, versprachlicht auf Plakaten.
Grußwort des Städteregionsrats
Auf die Relevanz der Bildung zu Geschlechterrollen und zu Vorbildern in der Erziehung wies auch Städteregionsrat Dr. Tim Grüttemeier in seinem Grußwort hin. Er wünschte der Tagung gute Erkenntnisse, die er auf Vermittlung der Gleichstellungsbeauftragten anschließend wahr- und entgegennehmen wird.
Forschung und Dokumentation
Belastbare Daten ergeben sich aus der Dokumentation der Mitarbeiterinnen von feminizidmap.org, die seit 2019 jeden Fall in Deutschland dokumentieren. Hinter der Arbeit daran von den Anfängen bis heute wurden 300 ehrenamtliche Wochenschichten dafür investiert. Das Forschungsprojekt arbeitet ebenfalls an der Schärfung der Begriffe für die Tötung von Frauen, an der Definition von "Femizid" und "Feminizid" sowie an Kategorien, die das Vorliegen einer solchen Straftat klassifizieren.
Aus eigenen Studienaufenthalten in Lateinamerika schilderte eine Mitarbeiterin von feminizidmap.org die Ursprünge des Begriffs und der Forschung dazu in Mexiko, vornehmlich ausgelöst durch eine Häufung von Frauenmorden in der Ciudad Juárez. In Argentinien wurden bereits im Jahr 2012 geschlechtsspezifische Motive als Straftatbestand zum Mord eingeführt.
In etwa der Hälfte der Fälle kommt es vor der Tötung der Frau zu keiner physischen Gewalt, so die Kriminologin Julia Habermann: "Kontrollierendes Verhalten durch den Partner ist ein Zustand, in dem die Beziehung lange verharren kann." Habermann hat als Kriminologien zu Partnerinnentötung geforscht. Sie spricht sich dafür aus, das Wissen um Kontrolle, Macht und besitzergreifendes Verhalten in Partnerschaften stärker ins Bewusstsein der Menschen zu bringen, die Recht sprechen.
Sie ist gemeinsam mit Dr. Sonja Wölte, Fachbereichsleiterin an der Marienschule Offenbach, Autorin des Themenblatts "Gewalt gegen Frauen und Mädchen". Das Unterrichtsmaterial bietet Information und Arbeitsblätter zur Bearbeitung des Themas im Unterricht, geeignet ab Klasse 9.
Gesprächsrunde mit dem Opferschutzbeauftragten der Polizei
Die Istanbul-Konvention als geltendes Recht muss in die Anwendung kommen, unterstrich der Opferschutzbeauftragte der Polizei NRW in Aachen. Er wies darauf hin, dass die Polizei verpflichtend an Fortbildungen zum Thema teilnehmen muss. Für die Justiz gilt das nicht.

"He for She"
Fikri Anıl Altıntaş ist Autor und sagt auf seiner eigenen Website über sich selbst: "Ich schreibe, spreche und streite über Männlichkeit(en), Rollenbilder, Antifeminismus sowie (De)-Konstruktion von migrantischer, muslimisch-türkischer Männlichkeit in Deutschland und bin ehrenamtlich als #HeForShe Deutschland Botschafter von UN Women Deutschland tätig."
Er macht sich stark für Jungen- und Männerbildungsarbeit, für eine Verankerung der Istanbul-Konvention in Schulungen der Justiz, insbesondere der Familiengerichte, sowie für einen achtsamen Umgang mit Rollenbildern von klein auf. Als Beispiel nannte er hier das Verbot sexistischen Spielzeugs oder auch die Förderung starker Rollenbilder für Mädchen.
Als ein gelungenes Beispiel nannte er das Schweizer Projekt "Herzsprung", ein "Programm zur Förderung der Beziehungskompetenzen und eines respektvollen und gewaltfreien Umgangs in Paarbeziehungen für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren" (https://www.radix.ch/de/gesunde-schulen/angebote/herzsprung/).
Moraltheologie, Seelsorge und Psychiatrie
Julia van der Linde, Moraltheologin aus Münster, folgte in ihrem Beitrag dem Konzept "hermeneutical injustice" von Miranda Fricker. Es bedarf einer sprachlichen Befähigung, damit keine betroffene Frau ein Glaubwürdigkeitsdefizit erleiden muss. Der Bereich, in dem alle Anzeichen dafür sprechen, dass eine Frau demnächst einen Femizid erleiden können, braucht sprachliche Ressourcen. Van der Linde verglich dieses sprachliche Feld mit den Entwicklungen, mit denen "sexuelle Belästigung" oder eine "postnatale Depression" in einer männlich dominierten Welt erst benennbar wurden.
Die Mitarbeiterin in der Gefängnisseelsorge bejahte, dass inhaftierte Täter in ihrer Haft einen Haltungswechsel zu Rollenbildern leisten können. In der Justizvollzugsanstalt arbeiten viele Frauen. Häufig erleben Täter in dieser Zeit zum ersten Mal Frauen als ein normales Gegenüber, weder als Bedrohung noch als potenzielles Opfer, und können so an sich arbeiten.
Eine Gesprächspartnerin aus dem Bereich der psychiatrischen Klinik beschrieb, welche pathologischen Tätermerkmale sich fassen lassen.
Rechtsberatung
Feminist Law Clinic bietet ehrenamtlich kostenlose Rechtsberatung für Frauen oder queere Personen an, die etwa von sexualisierter Gewalt oder anderen Formen von Ungleichbehandlung betroffen sind.
In jedem Semester bietet Feminist Law Clinic Vorlesungsreihen und Vorträge zu rechtlichen Themen an, die in der juristischen Ausbildung kaum oder gar nicht vorkommen, wie z. B. Sexualstrafrecht, Unterhaltsrecht oder Antidiskriminierungsrecht.
Die Veranstaltungen sind offen für alle, nicht nur für Jurastudierende oder Jurist:innen.
Feminist Law Clinic war unter den ersten drei Plätzen des europäischen Jugendkarlspreises 2025 und gewann den mit 2.500 Euro dotierten dritten Preis.
Kooperation
Ein breites Netzwerk hat die Tagung unter Begleitung der Gleichstellungsbeauftragten der StädteRegion Aachen vorbereitet und mitgetragen: Alexianer Aachen, Diakonisches Werk im Kirchenkreis Aachen e.V., Evangelisches Erwachsenenbildungswerk im Kirchenkreis Aachen, Frauen- und Familienseelsorge im Bischöflichen Generalvikariat Aachen, Gleichstellungsbeauftragte der StädteRegion Aachen, kfd-Diözesanverband Aachen, Pelgrimsoord Klooster Wittem, Polizeipräsidium Aachen (Prävention und Opferschutz), Vikariat Ostbelgien.
Beteiligt war in der Vorbereitung und Ausführung auch femi(ni)zidmap.org und Feminist Law Clinic.
Die Ergebnisse der Tagung unter der Ägide der Gleichstellungsbeauftragten im Fachausschuss "Nein zu Gewalt gegen Frauen" besprochen und weiterbearbeitet.