zwei Schalenhälften umschließen ein Weichtier mit seinen Organen, darin noch einmal von einem so genannten Mantel geschützt. Die Muschelschale soll dem verletzlichen Tier Schutz bieten. Der Kalk, aus dem sie besteht, ist aus Kristallen aufgebaut, die sich kreuzweise in Lamellen übereinanderlegen. Dem Druck des Meeres, Stößen von feindlicher Seite oder dem Angriff von Raubfischen können Muscheln dank dieser gut organisierten Struktur standhalten.

Das Wort „Struktur“ begegnet aktuell so häufig, dass es eine Sehnsucht anzuzeigen scheint: in Fernsehfilmen, in Pressetexten über Organisationen, in Nachrichten über medizinischen Fortschritt. Kein Wunder: Nach dem Scheitern der alten Bundesregierung vor genau einem Jahr sind die Erwartungen an die aktuelle Regierung berechtigterweise hoch, das Zusammenleben gut zu strukturieren. Die Kirchen in Deutschland stehen unter Druck in einer Mischung aus Finanz- und Vertrauenskrise und suchen angesichts des Schrumpfungsprozesses nach geeigneten Strukturen. Trump hat in seiner zweiten Amtszeit im eigenen Land in rasender Geschwindigkeit bestehende Strukturen wirkungslos gemacht und versucht sich in den Krisen der Welt als Friedensstifter, ohne dass ihm die Struktur der jeweiligen Konflikte in ihrer historischen Tragweite bewusst scheint. Mit welchem Eigeninteresse schaffen reiche Geldgeber aus dem Nahen Osten in Gaza eine neue Struktur, wenn sie den Wiederaufbau fördern?

In einer Welt voller Unsicherheiten, Zeitdruck und Reizüberflutung steigt das Bedürfnis nach klaren Antworten und festen Strukturen.

Diese Strukturen betreffen auch den öffentlichen Raum. Wie empfindlich Menschen darauf schauen, hat eine aktuelle Debatte um eine Aussage zum „Stadtbild“ gezeigt, für die der Bundeskanzler zu Recht kritisiert wurde. Denn er traf sie in einem Kontext, in dem sie kaum anders zu verstehen war als eine generelle Kriminalisierung von Menschen, die mit einer Zuwanderungsgeschichte in Deutschland leben.

Gleichzeitig ist es legitim, auf öffentliche Räume besonders zu schauen, wenn sie zu Angsträumen werden.

Als Akademie lernen wir selbst vom Bildungsangebot, das uns umgibt und mit dem wir auch kooperieren. Eine der Personen, die da immer eng im Blickfeld sind, ist die Architektin und Stadtplanerin Christa Reicher. Sie hat den Lehrstuhl „Städtebau und Entwerfen“ an der RWTH Aachen inne und leitet dort auch den UNESCO Chair für Kulturerbe und Städtebau.

„Angsträume entstehen durch eine mangelnde Frequentierung und Verwahrlosung“, sagt Reicher in einem Interview. Sie beschreibt so genannte No-go-Areas: „Eine Konzentration sozialer Probleme an einem Ort … führt nicht zum Ziel und lässt sich nur mit ungemein großem Aufwand lösen.“ Darunter können sich alle Orte vorstellen, an denen vielfältige Faktoren zu diesen Problemen führen und nicht eine Frage der Herkunft der Menschen an diesen Orten sind.

Öffentliche Plätze sind für das Zusammenleben in einer Stadt sehr bedeutsam, „… denn sie sind für die unterschiedlichen Zielgruppen Visitenkarte, Rückgrat und Aufenthaltsraum, aber auch eine Art ‚sozialer Kitt‘. Hier können sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen treffen, begegnen und austauschen.“

Räume mit Rückgrat und einem sozialen Zusammenhalt zu gestalten fängt im Kleinen an und muss ein stabilisierender Prozess sein, damit eine Gesellschaft Druck aushalten, sich Stößen von feindlicher Seite erwehren oder sich dem Angriff auf ihren Kern widersetzen kann.

„Dabei ist es entscheidend, die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, vorhandene Strukturen zu stärken und Räume zu schaffen, in denen Verbindungen langsam wachsen können“ („More in Common“, Begegnungsradar: Wie begegnen wir uns? Worauf es ankommt). Die Herausforderung ist dabei, sich dem Dialog dann zu stellen, wenn Menschen unterschiedlicher Meinung sind. Auch daran arbeiten wir, etwa bei „Demokratie stärken durch Austausch mit Andersdenkenden“.

Wir freuen uns auf Begegnung mit Ihnen in unseren Räumen und arbeiten kontinuierlich daran, dass Sie sich darin weiterentwickeln, frei entfalten und eine Struktur für das finden können, was Sie bewegt.

Mit herzlichen Grüßen im Namen des ganzen Teams der  Akademie des Bistums Aachen

Dr. Angela Reinders, Direktorin